Die traditionsreiche Telegraph Media Group – der Telegraph startete 1855 – ist seit 2004 im Besitz der Barclay-Familie. Die schottischen Zwillingsbrüder David und Frederic Barclay hatten sie für 665 Millionen Pfund vom kanadischen Vorbesitzer erworben und den erfahrenen Verlagsmanager Murdoch McLennan als CEO verpflichtet. Nachdem David Barclay Anfang 2021 im Alter von 86 Jahren verstorben war, sorgte ein Streit innerhalb der Familie für Schlagzeilen. Der wurde aber inzwischen beigelegt. Branchengerüchte, die Gruppe stehe zum Verkauf, wurden bei dieser Gelegenheit von der Familie dementiert. Tatsächlich hatten Daily Telegraph und Sunday Telegraph ihren Eignern ja auch viele Jahre Freude bereitet, weil sie zu den profitabelsten britischen Zeitungsmarken zählten.

Zeitweise neben der Spur: überalterte Leserschaft, chaotische Digitalstrategie

Dass die konservative Leserschaft überaltert war, dürfte vorübergehend deren Abwanderung ins Netz gebremst und so dem Gewinn genutzt haben – bis die Biologie ihren Tribut forderte und die Printauflage schneller als bei der Konkurrenz schrumpfen ließ. Im Digitalen folgte man einem Schlingerkurs zwischen der Londoner Times, die 2010 eine harte Paywall eingeführt hatte, und dem frei verfügbaren Guardian, der auf internationale Ausdehnung setzte. So installierte man im Juni 2013 eine Metered Paywall mit monatlich zwanzig freien Zugriffen. Sie war viel zu durchlässig, um Digital-Abos in nennenswerter Zahl zu generieren. Im Herbst 2013 verpflichtete MacLennan den Amerikaner Jason Seiken im Range eines Chief Content Officers. Der neue Hoffnungsträger fürs Digitale hielt visionäre Reden, verdrängte den angesehenen Chefredakteur Tony Gallagher, und setzte nach Guardian-Vorbild auf internationale Expansion. Nach 18 turbulenten Monaten nahm er im April 2015 seinen Hut. Der leitende Politikkommentator Peter Oborne rechnete unter der Überschrift „Why I have resigned from the Telegraph“ mit dem Chaos-Regime ab.

Quelle: Geschäftsberichte

Zurück in die Spur: langfristig angelegte Abo-Strategie

2016 brach der Verlagsgewinn ein. (Grafik 1). Nachdem Berater von Deloitte die Lage analysiert hatten, wurde die löchrige Metered Paywall im Herbst jenes Jahres durch eine dichtere Freemium-Bezahlschranke ersetzt. Die Reichweitenjagd wurde angesichts schwächelnder Anzeigengeschäfte abgeblasen. Als Chief Operating Officer wurde Nick Hugh verpflichtet. Der war zuvor in leitender Position für Yahoo tätig gewesen, trat seinen Dienst im Januar 2017 an und wurde ein halbes Jahr später zum neuen CEO ernannt. Investitionen in Redaktion und Technik ließen zwar den Verlagsgewinn zunächst weiter schrumpfen. Doch im Frühjahr 2018 gelang es Hugh, mit Verkündung seine 10-1-23-Strategie für Aufbruchstimmung zu sorgen. Der Zahlencode steht für zehn Millionen registrierte Nutzer und eine Million Abonnenten, die bis Ende 2023 gewonnen werden sollen.

Mit der aktuellen Zwischenbilanz ist der Verlag zufrieden. Der Abo-Bestand stieg in den letzten zwei Jahren um 69 Prozent auf rund 720.000, wobei sich die Gewichte zugunsten des Digitalen verschoben (Grafik 2). Wegen der Preisdifferenz zwischen Print- und Digital-Abos sank zwar zugleich der durchschnittliche Jahreserlös pro Abo von 194 Pfund auf 175 Pfund, also um zehn Prozent. Aber dank des starken Mengeneffektes konnte der gesamte Abo-Erlös kräftig gesteigert werden. Laut letztem Geschäftsbericht erhöhte er sich 2020 um 23 Prozent auf 98 Millionen Pfund. 2021 dürfte sich erneut ein Anstieg um gut ein Fünftel auf 118 bis 119 Millionen Pfund ergeben haben.

In Sicherheit wiegen kann sich das Verlagsmanagement damit noch nicht, denn der Abo-Erlös macht gegenwärtig nur knapp die Hälfte vom Gesamterlös aus. Die andere Hälfte steuern hauptsächlich der Einzelverkauf der gedruckten Zeitungen und das Anzeigengeschäft bei. Aber fürs Erreichen der Zielmarke sind ja noch zwei Jahre Zeit. Und im Zuge der Digitalisierung dürfte sich die Nutzerschaft schon jetzt verjüngt haben.

Dr. Uwe Sander
Dr. Uwe Sander
Der gelernte Volkswirt arbeitete nach einigen Jahren in der empirischen Wirtschaftsforschung von 1984 bis 2014 in verschiedenen Funktionen beim Verlag Gruner+Jahr, u.a. für die Titel Capital, Stern, GEO und Art. Heute ist er freiberuflich als Autor und Berater tätig. Sein besonderes Interesse gilt der Entwicklung des digitalen Journalismus.