Die Befürchtungen waren real. Im Zuge der Coronakrise würden Verlage überproportional unter einem nachgebenden Anzeigenmarkt leiden, so die Hypothese, die sich jedoch schnell als falsch erweisen sollte. Stellvertretend für die ganze Branche unterstrich die New York Times im jüngsten Quartal, wie rasant die Erholung auf dem Werbemarkt verläuft: Um gleich 66 Prozent zogen die mit Anzeigen erzielten Erlöse an, während die Abonnentenzuwächse weiter sechsstellig in die Höhe schossen.

Keine Frage: Qualitätsjournalismus ist so gefragt wie lange nicht mehr – bei Lesern, Werbekunden und nicht zuletzt an der Wall Street. Während sich die Anteilsscheine der New York Times und des Wall Street Journal-Mutterkonzerns News Corp. aktuell in der Nähe von 5- bzw. 15-Jahreshochs bewegen, rüsten sich immer mehr US-Verlage für den Sprung an die Kapitalmärkte. So will das renommierte Wirtschaftsmagazin Forbes ebenso noch in diesem Jahr den Gang an die Wall Street wagen wie der Vertikalportalanbieter BuzzFeed.

Axel Springer übernimmt Politico für eine Milliarde Dollar

Die hoch gewetteten Newcomer The Athletic und Axios werden unterdessen als heiße Übernahmekandidaten gehandelt, für die nach Branchengerüchten Summen im hohen neunstelligen Bereich fällig werden dürften.

Befeuert wird der neue Run auf US-Verlagshäuser durch einen spektakulären Deal im Spätsommer. Ende August kündigte Axel Springer überraschend die größte Übernahme der Verlagsgeschichte an. Für eine nicht genannte Summe, die dem Vernehmen nach aber bei über einer Milliarde Dollar liegen soll, übernimmt das Berliner Medienhaus den amerikanischen Nachrichtenanbieter Politico samt Schwesterseite Protocol.

„Objektiver Qualitätsjournalismus ist heute wichtiger denn je“

Es war ein Paukenschlag, den CEO Mathias Döpfner so erklärte: „Politico hat mit einem herausragenden Team den digitalen politischen Journalismus revolutioniert und neue Standards gesetzt – ein echter Leitstern. Wir begreifen es als Ehre und besondere Verantwortung, die Zukunft dieses erstklassigen Medienunternehmens mitzugestalten. Objektiver Qualitätsjournalismus ist heute wichtiger denn je.“

Tatsächlich verband Springer und Politico bereits eine langjährige Partnerschaft in Europa. Seit 2014 betreiben beide Seiten als gleichberechtigte Partner das Joint Venture Politico Europe, das seit 2015 eine Wochenzeitung anbietet, seit 2019 profitabel operiert und inzwischen mehr als 200 Mitarbeiter beschäftigt.

Knapp 15-Jährige Erfolgsstory

Gegründet wurde Politico bereits 2007 von zwei Vorzeigejournalisten der Washington Post: John F. Harris und Jim VandeHei, die das neue Politikmedium für die Internetära als Chefredakteur und Herausgeber verantworteten. Dritter Gründer im Bunde, der für die nötige finanzielle Grundlage sorgte, war der Geschäftsmann Robert Allbritton, der bis heute die Geschicke von Politico führt und dem Unternehmen auch nach der Akquisition als Publisher angehören wird.

„Was wir gemeinsam geschaffen haben, ist zweifellos das beeindruckendste und beständigste aller Experimente mit neu gegründeten Publikationen in der jüngeren Zeitgeschichte“, erklärte Allbritton zur Übernahme. Tatsächlich entwickelte sich Politico schnell zum politischen Leitmedium, das in quasi Echtzeit und digital in bislang nicht gekannter Tiefe die Entwicklungen des politischen Betriebs in Washington und im Rest der Welt analysierte.

Gewinnmarge von 30 Prozent

Und das mit durchschlagendem Erfolg: Heute bringt es Politico, das weltweit 700 Mitarbeiter – die Hälfte davon Journalisten – beschäftigt und jeden Monat über 3000 Artikel produziert, monatlich auf über 54 Millionen Unique Visitors. Auch in Dollar und Cent stimmt die Story: Nach eigenen Angaben hat Politico im vergangenen Jahr bereits rund 200 Millionen Dollar umgesetzt – mehr als die Hälfte davon mit dem Abonnementgeschäft –  und soll dabei eine für die Verlagsbranche bemerkenswerte Gewinnmarge von 30 Prozent eingefahren haben.

Entsprechend hat Springer-CEO Matthias Döpfner das Gefühl, trotz der teuersten Übernahme der Unternehmensgeschichte mit Politico einen guten Deal gemacht zu haben. „Das Potenzial ist generell riesig. Wir sind überzeugt, das Unternehmen zu einem attraktiven Preis erworben zu haben“, begründete Döpfner die Übernahme. Gute Inhalte kosten eben – in diesen Tagen immer mehr.

Der Autor

Nils Jacobsen
Nils Jacobsen
Nils Jacobsen ist Wirtschaftsjournalist und Techreporter in Hamburg. Der studierte Medienwissenschaftler und Buchautor („Das Apple-Imperium“ / „Das Apple-Imperium 2.0“ ) berichtet seit 20 Jahren über die Entwicklung der Aktienmärkte und digitalen Wirtschaft: seit 2008 täglich für den Branchendienst MEEDIA, in einer wöchentlichen Kolumne für Yahoo Finanzen und in monatlichen Reportagen für die Marketingzeitschrift absatzwirtschaft. Jacobsen war zudem als Chefredakteur der Portale CURVED, clickfish, US FINANCE und YEALD aktiv.